Behandlungsfehler

Was versteht man unter einem Behandlungsfehler?

Unter einem Behandlungsfehler versteht man eine nicht ordnungsgemäße, d.h.eine nicht den allgemein anerkannten medizinischen Standards entsprechende Behandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin. Dieser kann in allen Bereichen ärztlicher Tätigkeit vorkommen. Typische Ursachen sind das Übersehen oder die Fehldeutung eines wichtigen Symptoms, die unzureichende Absprache zwischen Ärzten bzw. zwischen Ärzten und ihren Mitarbeitern oder einfach ein Versehen.

Nicht jedem Schaden bei einem Patienten im Rahmen einer Behandlung liegt ein Behandlungsfehler zu Grunde und nicht jeder Fehler ist „vorwerfbar“.  Zum Schadensersatz kommt es nur dann, wenn der Kläger (der Patient) einen vermeidbaren Fehler auf Seiten des Arztes nachweisen kann UND sich aus diesem Fehler eigene Schäden ergeben haben. Unter bestimmten Bedingungen wird dem Patienten (dem Kläger) die Beweislast erleichtert – dann muss der Arzt seinerseits ein fehlerfreies Handeln nachweisen. Bei Krankenhausbehandlungen richten sich die Vorwürfe in der Regel gegen das Krankenhaus (bzw. seinen Träger) und nicht gegen einen einzelnen Mitarbeiter.

Eine Übersicht hierzu lesen Sie hier: Behandlungsfehler-allgemein oder in unserer Monographie „Der ärztliche Behandlungsfehler – verbessern statt streiten“ Behandlungsfehler-DMH-2000

Organisationsmängel

Zunehmend werden heute Fehler in der medizinnahen Organisation festgestellt und „Behandlungsfehler“ hierauf zurückgeführt. Das ist insofern bedeutsam, als nach unserem Rechtsverständnis in der Organisation eines Krankenhauses oder einer Praxis viel weniger häufig mit den „Zufälligkeiten der Natur“ zu rechnen ist. Man geht in der Rechtsprechung über weite Strecken davon aus, dass die Organisation eines Krankenhauses „voll beherrschbar“ sei. Hieraus leitet sich ab, dass bei vermuteten Organisationsfehlern besonders häufig eine Beweislastumkehr greift, und das Krankenhaus seinerseits sich entlasten und die Richtigkeit seines Handeln belegen muss.

Wie sich das im einzelnen in der Rechtsprechung darstellt, wie Organisationsfehler identifiziert, begutachtet und vermieden werden, und wie häufig Behandlungsfehler auftreten: DAS Standardwerk zum Organisationsfehler

Maßstab für die Fehlerbeurteilung ist der zum jeweiligen Zeitpunkt gültige „Medizinische Standard“. Vielfach spiegelt sich dieser in Leitlinien der Fachgesellschaften wieder – so dass ihnen in der Begutachtung eines vorgeworfenen Medizinischen Behandlungsfehlers eine große Bedeutung zukommt. Mehr hierzu hier: Behandlungsfehler-Leitlinien. Großes Gewicht bei der Entscheidung der Frage, ob eine Behandlung „falsch“ war, bzw. ob ein Fehler „vermeidbar“ war, kommt dem Medizinischen Gutachten zu. Es ist deshalb äußerst wichtig, dass der Gutachter sein Handwerk versteht. Mehr dazu hier: Behandlungsfehler-Gutachten. – Bei Gerichtsverfahren  muss man feststellen, dass offenbar viele Gutachten  das aktuelle Wissen nicht berücksichtigen und so zu schwere Fehleinschätzungen kommen: Das kann man sowohl an einem allgemeinen chirurgischen Beispiel zeigen (gefährliches-gutachten-2004) als auch bezogen auf Wundinfektionen (wundinf-Rechtsprechung-2015).

Wie viele Behandlungsfehler treten auf ?

Eine umfassende Schätzung aus dem Jahr 2001 im Auftrag der Bundesregierung (Behandlungsfehler-GBE-Bund-2001)   ergab, dass (damals) in etwa 40.000 Fällen im Jahr Behandlungsfehler von Patienten angenommen wurden, von denen ca. 12.000 Fälle bestätigt wurden. Umgerechnet bedeutet das, dass jeder Arzt innerhalb von acht Jahren mit einem Behandlungsfehler-Vorwurf konfrontiert wird und ein solcher etwa alle 15-20 Berufsjahre bestätigt wird. Dies gilt – wohlgemerkt – über alle Berufsgruppen und Fachzugehörigkeiten hinweg. Wir wissen aus anderen Analysen, dass bei Angehörigen operativer Fächer (Chirurgen, Gynäkologen, Orthopäden) weit häufiger Behandlungsfehler angenommen werden, als bei anderen Fachärzten.

Die aktuellen Zahlen 
zur Häufigkeit von 
Behandlungsfehlern hier

Wenn die Zahl der Behandlungsfehler steigt – warum? Im Vordergrund dürfte der Umstand stehen, dass die Medizin immer umfassender und komplexer wird, die Verflechtungen der Beiträge verschiedener Fächer in eine Behandlung intensiver, und dadurch die Zahl der Schnittstellen zunimmt und damit vor allem das Risiko von Defiziten bei der Organisation, bei den Absprachen. Vielfach werden die zunehmend enge Taktung des klinischen Alltags und die Verknappung mit Personal für ein steigendes Risikoniveau verantwortlich gemacht.

Generell geht man außerdem  davon aus, dass die Patienten heutzutage auch kritischer sind als in der Vergangenheit. Durch das Internet haben sie die Möglichkeit, sich umfassend über ihren Eingriff sowie die anhängigen Risiken und Gefahren zu informieren.

Sind Wundinfektionen in Krankenhäusern (immer) Folgen von Behandlungsfehlern?

Wenn ein Patient im Krankenhaus nach einer Operation eine Wundinfektion  erleidet, vermutet er mit großer Regelmäßigkeit dahinter einen Behandlungsfehler: Er geht davon aus, dass da „mit der Hygiene etwas nicht gestimmt haben müsse“.

  • Rein medizinisch ist der Verweis auf die Hygiene häufig nicht richtig, da der Hauptgrund einer Wundinfektion oftmals gar nicht ein Hygienemangel ist, sondern zum Beispiel Fehler in der Operationstechnik. Wir haben schon vor über 20 Jahren nachgewiesen, dass wahrscheinlich bis zur Hälfte der Wundinfektionen nach Operationen vorrangig auf unzureichende OP-Technik zurückzuführen sind (siehe auch Behandlungsfehler-DMH-2000, dort Kap. II-4). In einer großen Multicenterstudie konnten wir nachweisen, dass gerade bei besonders „infektanfälligen“ Operationen der Unfallchirurgie (Unterschenkelbruch) das Infektionsrisiko durch die Wahl der Operationstechnik gesenkt werden konnte (Infekte-Operationsverfahren-1999).
  • Dennoch ist natürlich ein Fehler auf der Basis einer nicht ausreichenden Sorgfalt möglich – ob Hygienemangel oder unzureichende OP-Technik. Wir haben über 250 Fälle ausgewertet, die der Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein zur Begutachtung wegen einer Wundinfektion nach Operationen an Knochen und Gelenken vorlagen (Behandlungsfehler-Infekte-1998). In 44 % der Fälle (also fast in jedem zweiten Fall) wurde ein Behandlungsfehler bestätigt. Dabei konnte häufig beim Zustandekommen der Infektion kein Fehler nachgewiesen werden. Vielmehr lagen die Fehler zum Beispiel darin, dass eine beginnende Infektion nicht rechtzeitig erkannt oder nicht energisch genug behandelt wurde.
  • Keinen Fehler sehen die Gerichte in der Regel dann, wenn (soweit erforschbar) alles richtig gemacht wurde, und die Infektion dennoch auftrat. Man geht dann davon aus, dass „auch bei bestem Bemühen eine Infektion nicht in jedem Fall vermeidbar ist“. – Anders liegt die Sache, wenn Organisationsmängel vorliegen, die für die Infektion offenbar wesentlich verantwortlich sind. Dann greift die Vorstellung, dass Organisationsmängel grundsätzlich vermeidbar sind,- mit der Folge, dass dann der Arzt oder das Krankenhaus ihr richtiges Handeln beweisen müssen (Beweislastumkehr). wunde-orga-2017.

 

Behandlungsfehler in Orthopädie und Unfallchirurgie:

Wir haben in den vergangenen Jahren in Zusammenarbeit mit der Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein mehrere Analysen erstellt, wie es zu Behandlungsfehlern in der Orthopädie und Unfallchirurgie kommt und wie diese zu vermeiden sind:

Außerdem: Behandlungsfehler in der Onkologie BF-Onkologie-2003

Was ist ein schwerer bzw. grober  Behandlungsfehler und wann liegt er vor?

Was ein schwerer bzw. grober Behandlungsfehler ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Im Einzelfall muss dies in einem Gerichtsverfahren richterlich überprüft und entschieden werden. Als Anhaltspunkt für Arzt und Patienten gilt: Ein grobes Fehlverhalten liegt vor, wenn dieses aus objektiver Sicht dem behandelnden Arzt nicht hätte unterlaufen dürfen – wenn also gegen grundlegende Regeln der Medizin verstoßen wurde.

Dies ist beispielsweise der Fall, wenn auf einen eindeutigen Befund hin, nicht nach den üblichen Regeln der ärztlichen Kunst reagiert oder wenn Standardmethoden zur Bekämpfung möglicher Risiken nicht angewendet wurden. In jedem einzelnen Fall muss dies in einem Gerichtsverfahren überprüft und entschieden werden.

Für einen Arzt können die beruflichen Folgen bei einem schweren Behandlungsfehler äußerst schwerwiegend sein. Bei einem groben Behandlungsfehler kommt es zur Beweislastumkehr:  Hier ist der behandelnde Arzt in der Pflicht, sein konkretes Vorgehen im betrachteten Fall zu schildern und zu begründen, warum es richtig gewesen sein soll.

 

Was sind die Folgen eines Behandlungsfehlers für den Arzt?

Mögliche Folgen bei Behandlungsfehler können für Ärzte die folgenden sein:

  • Schadensersatz und Schmerzensgeld an den Patienten (wird üblicherweise von der Haftpflichtversicherung getragen – bei Klinikärzten durch die Versicherung des Krankenhauses)
  • Schadensersatz an die Krankenkasse (ebenfalls von der Haftpflichtversicherung zu tragen)
  • Bei Strafverfahren evtl. Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung
  • In ganz speziellen Fällen standesrechtliche Folgen durch die Ärztekammern
  • In besonders schweren Fällen können Behörden die ärztliche Zulassung (Approbation) ruhen lassen oder sogar entziehen

Wie geht man bei einem Behandlungsfehler vor?

Wer vermutet, dass bei ihm ein Behandlungsfehler vorliegt, der kann sich an folgende Einrichtungen wenden:

  • Seine Krankenkasse (die mit der Klärung den Medizinischen Dienst beauftragt)
  • Die Gutachterkommission der Ärztekammer
  • Einen Anwalt, der ihm hilft, seine Ansprüche gerichtlich oder außergerichtlich zu regeln

In jedem Fall sollte der Patient und vermeintlich Geschädigte, wenn er einen Behandlungsfehler vermutet

  • den Arzt darauf ansprechen,
  • sich seine gesamten Behandlungsunterlagen in Kopie aushändigen lassen (er hat hierauf einen Anspruch),
  • sich durch eine der o.a. Einrichtungen beraten lassen.

Denn beim Behandlungsfehler liegt zunächst die Beweislast beim Patienten: Er muss nachweisen, dass der Arzt etwas falsch gemacht hat UND dass hieraus ein Schaden entstanden ist. Die ist beim groben Behandlungsfehler umgekehrt. Es tritt eine Beweislastumkehr ein.

Die Verfahren bei der Ärztekammer und der Krankenkasse sind für den Patienten kostenfrei. Die Sorge, dass die Gutachterkommissionen der Ärztekammern besonders „arztfreundlich“ entscheiden, ist nicht mehr berechtigt: Die Untersuchung aus dem Jahre 2001 zeigt sogar eher bei den Gutachterkommissionen besonders „strenge“ Entscheidungen.

Ansprechpartner bei Behandlungsfehlern sind :

  • Krankenkassen
  • Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK)
  • Gutachterkommission der Ärztekammer

Das Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht zudem weitere Informationen und Anlaufstellen.

Wie hoch ist das Schmerzensgeld bzw. der Schadenersatz bei einem Behandlungsfehler?

Für das Schmerzensgeld und den Schadenersatz kann keine allgemeine Höhe angegeben werden. Sie ist vom Einzelfall abhängig und wird gerichtlich geklärt.

Deutschland hat kein so aufsehenerregendes Schadensersatzrecht wie die USA. Schadensersatz wird deswegen lediglich in Höhe des nachgewiesenen Schadens geleistet. Dabei können Verdienstausfälle, Haushaltsführungsschäden, aber auch Fahrtkosten naher Angehöriger zu Krankenbesuchen geltend gemacht werden.

Ähnlich sieht es beim Schmerzensgeld aus. Auch hier ist es vom Einzelfall abhängig, ob und wie viel Schmerzensgeld vom Arzt gezahlt werden muss.

Wie können Behandlungsfehler vermieden werden?

Behandlungsfehler können vor allem durch sorgfältige Planung bei der Behandlung des Patienten und gute Organisation der Praxis oder Klinik reduziert oder sogar ganz vermieden werden. Ein ausgereiftes Qualitätsmanagement kann hierbei eine hilfreiche Strategie zur Prävention von Behandlungsfehlern sein. BF-Prävention-2003

So können Arztpraxen, Krankenhäuser und Kliniken durch konkrete Arbeitsanweisungen in den verschiedenen Fachbereichen wesentlich zu einer Vermeidung von Fehlern bei der  Behandlung von Patienten beitragen. Solche Arbeitsanweisungen sollten nicht nur für Ärzte, sondern für das gesamte medizinische Fachpersonal und andere Arbeitskräfte erstellt werden.

Des Weiteren sollten bei einem ausgereiften Qualitätsmanagement auch der Umgang mit entstandenen Fehlern bei der Behandlung in detaillierten  Anweisungen geregelt werden. Das gilt vor allem im Umgang mit dem Patienten, der einen Behandlungsfehler vermutet: Kommunikation-Chirurgie-2005.

Weitere Publikationen zum Themenkomplex “Behandlungsfehler”

  • St. Arens, L. Müller, M. Hansis: Vorgeworfene Behandlungsfehler nach postoperativen Infekten am Bewegungsapparat. Chirurg 69 (1998) 1263-1269
  • M. Hansis: Die Sudeck’sche Dystrophie. Eine unvermeidbare Verletzungskomplikation bei der distalen Radiusfraktur? Zentralbl Chir. 124 (1998) 479 – 482
  • M. Hansis, D. Hansis: Der ärztliche Behandlungsfehler, verbessern statt streiten. ecomed Landsberg, 2001
  • M. Hansis: Koordinationsdefizite als Ursache vorgeworfener Behandlungsfehler. Dt. Ärzteblatt 98 A (2001) 2035-2040
  • M. Hansis: Malpractice in oncology. Onkologie 26 (2003) 535-538
  • M. Hansis: Begutachtung vorgeworfener ärztlicher Behandlungsfehler – das gute Gutachten Med Sach 102 (2006)
  • Stegers, Hansis, Alberts, Scheuch: Der Sachverständigenbeweis im Arzthaftungsrecht Müller, Heidelberg, 2007
  • M. Hansis: Postoperative Wundinfektionen in der Arzthaftpflichtrechtsprechung